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Inga Kondeyne: Zu den Arbeiten von Johannes Regin, 3. März 2023
Ein Hineinsehen in den Mikrokosmos von Johannes Regin, in sich überlagernde Spurenfragmente mit kleinsten Abweichungen von Punktsetzungen, von Spannungsverschiebungen im Rhythmus seiner Raster erfordert Konzentration. Durchsickernde, alte Farbspuren und Zeichenreste erregen Aufmerksamkeit. Die Fülle in der gleichmäßig erscheinenden Ordnung dieser meditativen Bildräume wird wahrnehmbar. Bei den einzelnen Punkten handelt es sich um zweifach und dreifach übereinander gesetzte Punktzeichen. Momente der Sammlung des Künstlers übertragen sich auf uns Betrachter. Regin lässt sich auf das von ihm bewußt, in längerem Prozess ausgewählte Fundmaterial ein. Ihm ist sofort klar, wie groß seine unzählbaren Punkte zu sein haben, erkennt, ob sie zeichnerisch oder malerisch aufgesetzt bzw. ins Material hineingestochen, gestanzt oder reingemeißelt werden müssen. Fundstücke sind ein Gegenüber für ihn, er schaut in ihre Geschichten hinein; sanft berührend oder hart gesetzt, wird ein Schwebezustand hervorgerufen. Kräftigere Farben kommen von den Rändern aus mit ins Spiel – neuerdings auch als geballte Farbfelder. Regin hat sich ein nuanciertes Gerüst für seine Arbeiten erzeichnet, das bereit ist, Veränderungen aufzunehmen. Seinem Mikrokosmos wohnt ein Makrokosmos inne. Ausbreiten kann sich dieser in jüngsten Wandzeichnungen in Eberswalde. Johannes Regin eroberte marode Torflügel mit seinen Punktrastern. Der Kontrast von Untergrund und neuer Besetzung führt zu einer zeitlosen Schwerelosigkeit zwischen Absicht und Verfall, in der sich überraschende Energien entfalten.
It demands concentration to look into Johannes Regin’s microcosm, into the overlapping fragments of tracks with only the slightest deviation in the placement of dots, the shifts in tension within the rhythm of his grids. Seeping traces of old paint and remnants of drawing attract our attention, making the abundance in the seemingly uniform order of these meditative pictorial spaces perceptible. The individual dots are double and triple punctiform markings placed on top of each other. Moments of collection for the artist are transferred to us as viewers. Regin permits himself to get involved with the found material he has selected consciously and in a lengthy process. It is immediately clear to him how large the innumerable dots must be; he recognises whether they should be drawn or painted on, or indeed pierced, punched or chiselled into the material. Found objects are a counterpart for the artist, who investigates their stories; by gently touching or firmly setting down, a state of suspension is evoked. Stronger colours come into play from the edges – recently, also as dense colour fields. Regin has drawn a nuanced framework for his works that is ready to absorb change. A macrocosm is inherent in his microcosm. This has opportunity to spread in the most recent wall drawings in Eberswalde, where Johannes Regin has taken over dilapidated gateways with his dotted grids. The contrast between the background and its new occupation leads to a timeless weightlessness between intention and decay, where surprising energies unfold.
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JohannesRegin, 2012, o.T., Fineliner auf Fundstück, 8,8 x 9,8cm
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Birgit Möckel: Zu den Arbeiten von Johannes Regin, 18. Mai 2023
In der Schwebe.
Die Zeichnungen von Johannes Regin
Punkt für Punkt setzt Johannes Regin Zeichen. Kraftvoll, knapp, präzise, fließend oder mit aller Härte strukturieren seine punktuellen Setzungen den Bildgrund, der ein nicht minder facettenreiches Eigenleben offenbart. Vom offenporigen Bütten, über glatten Kunststoff, vom Gebrauch gezeichnete Kartons, wasserabweisende Planen bis zu verwitterten Holz- oder Metalltüren und Backsteinwänden sowie weiteren vielversprechenden Materialien reichen die Fundstücke und -orte und deren umfassendes Potenzial.
Jedes Gegenüber, vom kleinen Bildformat bis zum architektonischen Detail, öffnet neue Spielräume: Knicke, Falten, Rillen, Risse, (un)regelmäßige Kanten, Nähte und Nahtstellen, Farbreste, Rost und andere Gebrauchs- oder Erinnerungsspuren sind Auslöser für zeichnerische Erkundungen und Erkenntnisse. Jeder Bildgrund zeigt sich anders widerständig, stößt Farbe ab oder saugt sie auf, lässt Grate stehen oder bricht unter dem Druck von Stiften und Spitzen. Nicht zuletzt bildet jedes gewählte Format Fundament, Handlungs- und Möglichkeitsraum für jenen umfassenden künstlerischen Prozess, der das Werk von Johannes Regin auszeichnet.
Beim Zeichnen treten vorgefundene Spuren und Fragmente mehr und mehr zurück. Es öffnen sich Räume für grafische neben malerischen Setzungen, Zäsuren, Schnitte, Entdeckungen, Dialoge oder Kontraste, bis im vollendeten Werk ein fragiler Schwebezustand erreicht ist, der Zeichen und Zeichnung, Vorgefundenes und Gestaltetes – unabhängig von Größe, Material und Ort – auf so beiläufige wie selbstverständliche Weise trägt.
Ob nahsichtig oder mit Abstand betrachtet, immer werden Wahrnehmung und Konzentration auf minimale Abweichungen, Verschiebungen und damit verbundene Ereignisse im umfassenden Kosmos dieser Zeichnungen gelenkt. Ein sanftes Pulsieren oder Schimmern mag sich als farbiges Changieren des Bildgrundes zu erkennen geben oder in der Dichte der Punktreihen seinen Ausgangspunkt finden und vielleicht umso mehr in den Zwischenräumen wirken. Im Streiflicht öffnen sich neue Fährten, farbige Sprühnebel schimmern durch transparente Farbfelder, legen sich über gefundene und gelegte Spuren. Farbreste konkurrieren mit explizit ausgesuchten farbigen Partien. Jedes noch so kleine Teil des Ganzen fordert konzentrierte Aufmerksamkeit, will gesehen, gewichtet und nicht zuletzt auch als vollkommene Symbiose aufscheinen, in der en passant auch Geschichte und Gegenwart wahrgenommen wird – eingebunden und aufgehoben in einem feinsinnigen, subtilen Werk, das uns mit Intensität und Selbstverständlichkeit begegnet.
Als gleichsam übergreifendes Prinzip wird jeder Zeichnung ein ordnendes Raster eingeschrieben. Punkte und Raster sind anpassungsfähig, eng getaktet oder weit gespannt. Unabhängig von Größe und Ausdehnung legen sie sich wie ein Filter über die Bildfläche. Die lose Ordnung leitet den Blick, erschließt Bildräume, öffnet Fenster, begrenzt und führt gleichzeitig zum nächsten Feld, das sich zwischen allen punktuellen Markierungen öffnet. Mit jedem Raster verbindet sich Außen und Innen. Hierarchiefrei führt ein Punkt zum nächsten. Je nach gewähltem Stift und Ausgangsmaterial reihen sich die Punkte zu zeichnerischen oder malerischen Folgen in vertikalen oder diagonalen Verläufen aneinander, doppeln oder verdreifachen sich zu farbig flirrenden oder monochromen Systemen, die leichthändig Schnitte, Fugen, Unebenheiten und noch so leuchtende Rahmungen oder rahmende Partien überschreiten oder unterwandern.
Diese Raster besetzen den Bildraum mit individuellen, luftigen Koordinaten. Sie fokussieren oder filtern die Wahrnehmung der zahllosen (Gebrauchs-)Spuren und Fragmente. Im fein ausponderierten Zusammenspiel aus Gefundenem, Gesehenem und Gezeichnetem lassen die Arbeiten von Johannes Regin einen so überraschenden wie eigensinnig-sinnlichen Kosmos entstehen, der jedem gewählten Material und Format differenzierteste Klangfarben einverleibt, die sich im Miteinander von offenen Raster-, Licht- und Farbzonen finden. Jedes Werk entwickelt seine eigene pulsierende Balance in der Schwebe zwischen dinglicher Erfahrung und flüchtiger Erscheinung – greifbar als ephemeres Ereignis, das wieder und wieder zur Anschauung lockt.
konzentrierte Aufmerksamkeit, will gesehen, gewichtet und nicht zuletzt auch als vollkommene Symbiose aufscheinen, in der en passant auch Geschichte und Gegenwart wahrgenommen wird – eingebunden und aufgehoben in einem feinsinnigen, subtilen Werk, das uns mit Intensität und Selbstverständlichkeit begegnet.
Als gleichsam übergreifendes Prinzip wird jeder Zeichnung ein ordnendes Raster eingeschrieben. Punkte und Raster sind anpassungsfähig, eng getaktet oder weit gespannt. Unabhängig von Größe und Ausdehnung legen sie sich wie ein Filter über die Bildfläche. Die lose Ordnung leitet den Blick, erschließt Bildräume, öffnet Fenster, begrenzt und führt gleichzeitig zum nächsten Feld, das sich zwischen allen punktuellen Markierungen öffnet. Mit jedem Raster verbindet sich Außen und Innen. Hierarchiefrei führt ein Punkt zum nächsten. Je nach gewähltem Stift und Ausgangsmaterial reihen sich die Punkte zu zeichnerischen oder malerischen Folgen in vertikalen oder diagonalen Verläufen aneinander, doppeln oder verdreifachen sich zu farbig flirrenden oder monochromen Systemen, die leichthändig Schnitte, Fugen, Unebenheiten und noch so leuchtende Rahmungen oder rahmende Partien überschreiten oder unterwandern.
Diese Raster besetzen den Bildraum mit individuellen, luftigen Koordinaten. Sie fokussieren oder filtern die Wahrnehmung der zahllosen (Gebrauchs-)Spuren und Fragmente. Im fein ausponderierten Zusammenspiel aus Gefundenem, Gesehenem und Gezeichnetem lassen die Arbeiten von Johannes Regin einen so überraschenden wie eigensinnig-sinnlichen Kosmos entstehen, der jedem gewählten Material und Format differenzierteste Klangfarben einverleibt, die sich im Miteinander von offenen Raster-, Licht- und Farbzonen finden. Jedes Werk entwickelt seine eigene pulsierende Balance in der Schwebe zwischen dinglicher Erfahrung und flüchtiger Erscheinung – greifbar als ephemeres Ereignis, das wieder und wieder zur Anschauung lockt.
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JohannesRegin, o.T., 2015, Mischtechnik, Bleistift auf Kunststoffplatte, 73 x 65cm
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Suspended
On drawings by Johannes Regin
Johannes Regin makes his mark dot by dot. Set forcefully, concisely, precisely, fluidly or with fierce severity, his punctiform markings structure the pictorial ground, the vitality of which is equally multifaceted. His found objects and locations with their far-reaching potentials range from open-pored handmade paper, smooth plastic, cardboard boxes marked by use, and water-repellent tarpaulins to weathered wooden or metal doors and brick walls, as well as other promising materials.
Every counterpart, from the small picture format to an architectural detail, opens fresh scope: creases, folds, grooves, cracks, (ir)regular edges, seams and joins, paint residues, rust and other traces of use or memory are all triggers for his graphic exploration and insights. Each pictorial ground offers different resistance, repelling or absorbing paint, leaving ridges or breaks under the pressure of his pencils and dots. Last but not least, each chosen format creates a foundation, a space for action, and an opportunity for the wide-ranging artistic process that characterises Johannes Regin’s work.
The found traces and fragments recede more and more during drawing. Spaces becomes open to graphic and painterly settings, caesurae, cuts, discoveries, dialogues or contrasts, until a fragile state of suspension is reached in the completed work; this carries the sign and the drawing, the found and the designed elements – no matter what size, material and location – in a way that is both casual and self-evident.
Whether we view the works close-up or from a distance, our perception and concentration are always directed towards minimal deviations, shifts and associated occurrences in the overall cosmos of these drawings. A gentle pulsation or shimmering may emerge as a colourful oscillation of the image background, or find its starting point in the density of the dotted rows, perhaps becoming even more effective in the in-between spaces. New tracks open out with the fall of light, bright sprays shimmer through transparent colour fields, laying themselves over found and set traces. Remnants of colour compete with explicitly selected coloured sections. Every small part of the whole demands our concentrated attention, wants to be seen, assessed and, ultimately, to appear as a perfect symbiosis in which history and the present are also perceived en passant – integrated and suspended in a delicate, subtle work that confronts us with its intensity and self-evident quality.
A grid is inscribed into every drawing as a quasi-overarching principle, creating order. The dots and grids are adaptable, they can be kept in a tight sequence or extended. Irrespective of size and extension, they cover the picture surface like a filter. This loose order guides our view, disclosing pictorial spaces, opening windows, delimiting, and simultaneously leading us on to the next field as it unfurls between the many punctiform markings. Each grid connects outside and inside; one dot leads to the next with no hierarchy. Depending on the chosen drawing tool and source material, the dots are strung together to form graphic or painterly sequences in vertical or diagonal progressions, doubling or tripling to produce colourful, shimmering or monochrome systems that effortlessly traverse or infiltrate cuts, joints, unevenness and frames or framing sections, no matter how luminous.
These grids occupy the picture space with individual, airy coordinates. They focus or filter our perception of the countless traces and fragments (of use). In the delicately elaborated interplay of what is found, seen, and drawn, Johannes Regin’s works develop a cosmos as surprising as it is stubbornly sensual, imbuing each chosen material and format with highly nuanced timbres, found in the interplay of open grid and zones of light and colour. Each work develops its own pulsating balance in a limbo between material experience and fleeting appearance – tangible as an ephemeral occurrence that entices us to watch it again and again.